Überblick

Idee

Während der Besuch von NS-Gedenkstätten an vielen Schulen fest verankert ist, sind Exkursionen zu Gedenkstätten und Archiven der SED-Diktatur und deutsch-deutschen Teilungsgeschichte weniger etabliert. Die Pilotaktion verfolgte daher das Ziel, dass Lehramtsstudierende unterschiedliche gedenkstättenpädagogische Angebote kennenlernen und analysieren sowie Kompetenzen im Bereich der Planung, Durchführung sowie Vor- und Nachbereitung des Besuchs von außerschulischen Lernorten entwickeln. Hierfür entwickelten die Akteure aus Lehrkräftebildung und Archiv- und Gedenkstättenpädagogik ein kooperatives Seminarformat.

Umsetzung

Die Exkursion mit Werkstatt zur Gedenkstättendidaktik fand in zwei aufeinander folgenden Wintersemestern (20/21 und 21/22) an der Universität Münster statt – in Kooperation mit dem Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster sowie dem Stasi-Unterlagen-Archiv, der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde und 2022 der Gedenkstätte Bernauer Straße. Im Seminar erarbeiteten die Studierenden Leitfragen und Kategorien zur Analyse der didaktischen Potenziale von historischen Lernorten und pädagogischen Angeboten, die sie erstmals im Rahmen der Online-Exkursion mit Expertinnen und Experten der Lernorte diskutieren und anwenden konnten. Dabei wurden zwei unterschiedliche Zugänge gewählt. Inhaltlich richtete sich der Fokus auf biographische Zugänge und in methodischer Hinsicht stand die gedenkstättenpädagogische Arbeit mit lernortspezifischen Quellengattungen (historische Fotografien, Zeitzeugeninterviews, Stasiunterlagen) im Vordergrund. Auf dieser Grundlage diskutierten die Studierenden Methoden zur Vor- und Nachbereitung von Besuchen außerschulischer Lernorte, die Schülerinnen und Schülern eine nachhaltige Lernerfahrung ermöglichen.  Diese Methoden reichten von einem exkursionsbegleitenden Tagebuch über einen Podcast bis zur Konzeption einer Ausstellung. Dabei wurde auch der Wert einer vor- und nachbereitenden Zusammenarbeit zwischen Lehrperson und Bildungsteam betont.

Herausforderung

Die Umwandlung in Online-Formate machte konzeptionelle und inhaltliche Anpassungen notwendig. Aufbauend auf den Erfahrungen des ersten Seminardurchgangs und den Feedbacks der Studierenden wurden Programmänderungen vorgenommen. Neben einer ausgedehnteren Workshop- und Gruppenarbeitsphase erwies sich die Entzerrung– theoretische Vermittlung, Gedenkstättenbesuch und Online-Exkursion – als gewinnbringend. So wurden Phasen der Reflexion sowie der intensiveren Vor- und Nachbereitung geschafften. Ebenso deutlich wurde, dass die Kombination aus Präsenz- und Online-Exkursionen für das Grundverständnis von Gedenkstätten als außerschulischen Lernorten entscheidend ist.

Ergebnis

Die Diskussionen und Ergebnisse der Arbeitsphasen zeigen, dass die Studierenden durch die Analyse von Angeboten und den Austausch mit Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen die Potenziale von Gedenkstätten besser erkennen können. Mit diesem Wissen erarbeiten sie sich darauf abgestimmte Vor- und Nachbereitungsvorschläge für ihre pädagogische Praxis. Im Rahmen des „jugend erinnert“-Projekts #Gedenkstättenkompetenz wird dieser erfolgreiche Ansatz weiter verfolgt.

Lehr-Lern-Konzept

Das Lehr-Lern-Konzept besteht aus den Seminarankündigungen der bisher zweimal durchgeführten „Exkursion mit Werkstatt zur Gedenkstättendidaktik“ sowie ein idealtypisches Seminarkonzept. Dem sind die zwei Exkursions-Programme zu den jeweiligen Schwerpunktthemen beigefügt. Das Programm zur Exkursion „Historisches Lernen an Erinnerungsorten der doppelten Diktaturgeschichte“ im Januar 2022 greift viele Anregungen aus der ersten Veranstaltung auf, die sich positiv auf die Durchführung insgesamt ausgewirkt haben (inhaltliche Schwerpunktsetzungen sowie Zeit- und Pausenmanagement der Online-Veranstaltung).

Kooperationsbericht: Erprobung kooperativer Seminarformate

Vermittlung von #Gedenkstättenkompetenzen an Lehramtsstudierende für das Fach Geschichte in Klasse 9 und 10

Exkursion mit Werkstatt Gedenkstättendidaktik im Masterstudiengang Geschichtsdidaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in Kooperation mit der Villa ten Hompel in Münster, dem Erinnerungsort Notaufnahmelager Marienfelde, der Gedenkstätte Bernauer Straße und dem Stasi-Unterlagen-Archiv in Berlin.

Wintersemester 2020/21 und Wintersemester 2021/22

Bedarf und Anliegen

Während der Besuch von NS-Gedenkstätten in vielen Schulen fest etabliert ist, sind die Lernpotenziale von Gedenkstätten und Archiven zur DDR-Diktatur- und deutsch-deutschen Teilungsgeschichten weniger bekannt. Das Veranstaltungsformat aus universitärem Seminar und Exkursion bringt fachdidaktische, archiv- und gedenkstättenpädagogische Perspektiven zusammen, um das Lernen an und mit außerschulischen Lernorten gemeinsam mit angehenden Lehrkräften zu erproben.

Das Veranstaltungsformat verfolgte daher zwei Anliegen:

  • Erstens sollen Geschichtsstudierende bereits in einer frühen Phase ihres Professionalisierungsprozesses für die Lernpotenziale historischer Erinnerungs- und Gedenkstätten bei der Auseinandersetzung mit der doppelten deutschen Diktaturgeschichte sensibilisiert werden.
  • Zweitens sollen erste Kompetenzen für die Planung, Durchführung und Nachbereitung von Gedenkstättenfahrten vermittelt werden – und zwar durch theoretische Grundlegung, durch Analyse von Ausstellungsinszenierungen und gedenkstättenpädagogischen Angeboten sowie durch Gespräche mit Archiv- und Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen vor Ort.

Kooperation mit außerschulischen Lernorten

Im Rahmen des Pilotprojektes haben die Kooperationspartner ein hochschuldidaktisches Konzept entwickelt, erprobt und vor allem gemeinsam mit Studierenden diskutiert und weiterbearbeitet. Wesentliche Gelingensbedingungen für das Seminar waren die Kooperation zwischen Universität und Gedenkstätten bei der Entwicklung und Durchführung des Veranstaltungsangebotes sowie die enge Verzahnung von Theorie und Praxis (vgl. Seminar- und Exkursionsprogramm).

Didaktische Überlegungen

Das Konzept der Veranstaltung basiert auf didaktischen Überlegungen bezüglich der Ausgangslage der Studierenden, der Lernziele und der angestrebten Kooperationsebenen zwischen Universität und Gedenkstätten.

Ausgangslage der Studierenden:

  • verfügen über geschichtsdidaktische Grundkenntnisse (Prinzipen, Konzepte, Theorien)
  • Vorwissen zur DDR und deutsch-deutschen Teilungsgeschichte gering
  • Gedenkstätten zur DDR-Diktatur waren den wenigsten bekannt, Fokus vor allem auf NS-Gedenkstätten
  • Gedenkstättenbesuche wurden bislang in erster Linie aus Schülerperspektive oder privat erlebt
  • als gedenkstättenpädagogische Angebote wurden in erster Linie bislang nur Führungen wahrgenommen
  • Emotionalität und Authentizität werden als wesentliche Lernpotenziale von Gedenkstätten genannt

Lernziele

  • Gedenkstätten/historische Lernorte zu DDR-Geschichte und deutsch-deutschen Teilungsgeschichte kennenlernen
  • Gedenkstätten als diskursive Lernorte beschreiben und ihre geschichtskulturelle Funktion erklären
  • theoretische und analytische Grundlagen für die Planung, Organisation und Durchführung von Gedenkstättenbesuchen aufbauen
    • durch kriteriengeleitete Ausstellungsanalyse
    • durch Erprobung und Vergleich von gedenkstättenpädagogischen Angeboten
    • durch Diskussion mit Gedenkstättenpädagogen vor Ort
  • diagnostische Grundlagen zu Schülervorstellungen und Wirkungen von Gedenkstättenbesuchen aufbauen
  • Handlungskompetenzen zur Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen aufbauen

Kooperationsebenen zwischen Universität und Gedenkstätten

  • Gemeinsame Entwicklung des Seminarkonzeptes, dabei Theorie-Praxis-Verzahnung und zielführende Vorbereitung der Arbeit an den unterschiedlichen Lernorten
  • Begleitende Online-Sitzungen, um Praxisbezug frühzeitig herzustellen, gemeinsam mit Studierenden Fragen zu entwickeln und Schwellenängste abzubauen
  • Schaffen von exemplarischen analytischen Zugängen zwischen den einzelnen Lernorten
    • in Bezug auf lernortspezifische Quellengattungen (z.B. Gedenkstätte Berliner Mauer – Fotografien, Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv – Akten, Villa ten Hompel – Feldpostbriefe, Marienfelde – Objekte und Zeitzeugen)
    • in Bezug auf gedenkstätten- und archivpädagogische Konzepte
  • Reflexion der Lernpotenziale gemeinsam mit Studierenden (Kooperation auf Augenhöhe), Studierende verlassen die etablierte Besucherrolle

Seminarankündigung und idealtypisches Seminarkonzept

Die Seminare waren ursprünglich als Präsenzveranstaltungen geplant, wurden aber schließlich als Online-Formate durchgeführt. Das vorliegende Seminarkonzept orientiert sich am grundlegenden Anliegen, Lehramtsstudierende für die Potenziale außerschulischer Lernorte der doppelten deutschen Diktaturgeschichte zu sensibilisieren. Sie sollen befähigt werden, Gedenkstättenfahrten zu planen, durchzuführen und nachzubereiten. Das Seminarkonzept ermöglichte unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der jeweiligen Exkursionen.

Exkursionsprogramm

Wichtige Potenziale der historischen Orte und gedenkstättenpädagogischen Angebote kamen wegen der Online-Formate nicht ausreichend zu Geltung – dafür fehlte es am direkten Zugang und der Präsenz vor Ort. Gleichzeitig konnten Online-Varianten erprobt werden, die sich auch als Bausteine in andere Veranstaltungen implementieren lassen. Als Ergebnis der Auseinandersetzung liegen nun Planungsmodelle für Online – als auch Präsenzveranstaltungen vor.

Erfahrungen

Die gemeinsame Arbeit hat gezeigt: Studierende sollten selbst Fragen zur Analyse entwickeln und sich auch zunächst eigenständig mit den Lernorten auseinandersetzen, damit sie auf den Rollenwechsel vom Besucher zur Analyse vor Ort vorbereitet sind.

Die Präkonzepte der Studierenden zur Funktion von Gedenkstätten als authentischen Orten fallen mitunter etwas eindimensional aus. Es wirkt oft so, als ob Gedenkstätten ausschließlich Erinnerung an Opfer ermöglichen. Über diese Frage sollte in den Seminaren verhandelt werden, damit diese Lernorte als Lernräume diskursiv erschlossen und auch in ihren vielfältigen Potenzialen genutzt werden.

Der Zeitfaktor spielt bei Exkursionen eine wesentliche Rolle, aber darf auch online nicht unterschätzt werden. Gerade, wenn der Fokus auf der eigenständigen Analyse und der fundierten Diskussion vor Ort liegen soll.

Mehrwert für die Lehrkräftebildung

Die Planung, Durchführung und Reflexion von Gedenkstättenfahrten gehört zu den zentralen Aufgabenbereichen von Geschichtslehrpersonen. Gleichwohl sind gelungene Ansätze einer Gedenkstättendidaktik bislang rar und Geschichtsstudierende verfügen zumeist nur über Erfahrungen aus Teilnehmenden- bzw. Besucherperspektive.

Mit dem Angebot konnten Studierende bereits in einer frühen Phase ihres Professionalisierungsprozesses Kompetenzen im Bereich Gedenkstättenpädagogik aufbauen – der Vergleich unterschiedlicher Lernorte war dabei besonders lehrreich.

Sie lernten Kriterien für die Beurteilung von Lernorten kennen und bewerteten didaktische Potenziale von gedenkstättenpädagogischen Angeboten.

Neben diesem didaktischen Schwerpunkt erhielten die Studierenden zugleich die Möglichkeit, sich in fachlicher und didaktisch-methodischer Perspektive mit lehrplanrelevanten Themen der DDR und deutsch-deutschen Teilungsgeschichte auseinanderzusetzen. Ein Teil dieser Inhalte ist außerdem gegenwartsrelevant – z.B. Grenze(n), Flucht und Migration oder Überwachung.

Mehrwert für die Gedenkstätten

Für Gedenkstätten wird durch den Austausch mit Studierenden transparenter, welche Annahmen und Erwartungen diese in Bezug auf historische Lernorte mitbringen und welche Lerneffekte sie sich von einem Besuch für ihre künftigen Schülerinnen und Schüler erhoffen. Aufschlussreich ist darüber hinaus, wie pädagogische Angebote der Gedenkstätten wahrgenommen werden. Es zeigt sich, dass methodisch anspruchsvolle Formate jenseits klassischer Führungen für die Studierenden zumeist erst in der gemeinsamen Reflexion konkret werden, während ihnen eine Lektüre der Gedenkstätten-Websites keine ausreichende Vorstellung vermittelt. In der Diskussion mit den Studierenden ergeben sich außerdem wertvolle inhaltliche, methodische und organisatorische Hinweise, wie Gedenkstätten die Vor- und Nachbereitung von Klassen-Besuchen sinnvoll und effizient unterstützen können. Nicht zuletzt ist es für die Gedenkstätten interessant zu erfahren, wo die jüngere Generation angehender Lehrpersonen Chancen für Gegenwartsbezüge sieht und wie sie solche Bezüge inhaltlich füllen würde.

Mehrwert der Kooperation

Durch eine dauerhafte Kooperation zwischen Lehrerbildung und Gedenkstätten kann:

  • DDR-Geschichte und Gedenkstättenpädagogik im universitären Lehrprogramm fest etabliert werden,
  • Forschung zur Gedenkstättenpädagogik angeregt werden (z.B. Haus- und Masterarbeiten),
  • Studierenden eine Profilbildung ermöglicht werden (d.h. sie erwerben eine Expertise, die bei schulscharfen Einstellungen gefragt ist),
  • die Nachfrage bei Studierenden erhöht werden – gleichzeitig reduziert sich ihr Planungsaufwand.
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