Relevanz

Ein Spezifikum von Ausstellungen an historischen Lernorten zur Diktaturgeschichte und dortiger historisch-politischer Bildungsarbeit ist die Thematisierung von biografischen Fallbeispielen. Angehende Geschichtslehrkräfte können von kooperativen Lehrformaten profitieren, indem sie sich die (orts-)spezifischen Lernpotentiale solch individualisierender Zugriffe vergegenwärtigen und dafür sensibilisiert werden, diese für ihren Geschichtsunterricht zu nutzen.

Ziel

Auf Basis theoretischer Grundkenntnisse zur Geschichte, Funktion und Struktur historischer Lernorte (insb. Gedenkstätten) sollten die Studierenden a) analytische Kompetenzen zur Erschließung einer Ausstellung am historischen Lernort aufbauen und diese in der Praxis (Bsp. Villa ten Hompel) anwenden, b) Funktionen der dortigen Thematisierung biografischer Fallbeispiele herausarbeiten, c) ein Bildungsangebot (Schwerpunkt: Arbeit mit biografischen Fallbeispielen) kennenlernen und mit Mitarbeiter:innen vor Ort diskutieren und schließlich d) Konzepte zur Vor- und Nachbereitung von Lernortbesuchen mit Schulgruppen (weiter-)entwickeln.

Struktur

Die enge Kooperation zwischen der Universität Münster und dem nahegelegenen, lokalen Geschichtsort Villa ten Hompel ermöglichte es, während des Semesters zwei Exkursionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten durchzuführen. Die theoretische Grundlegung (Vorbereitung) sowie die Reflexion der gesammelten Erfahrungen und daraus abgeleitete unterrichtspragmatische Konsequenzen (Nachbereitung) erfolgte jeweils im Seminar.

Vorbereitung

  • Präkonzepte von Studierenden in Hinblick auf Vorerfahrungen und Überzeugungen zum Lehren und Lernen an historischen Lernorten diagnostizieren
  • theoretische Grundlagen zu Genese, Funktionen und Aufgaben von Gedenkstätten erarbeiten
  • Grundlagen gedenkstättenpädagogischer Ansätze erschließen und Bildungsangebote von ausgewählten historischen Lernorten (u.a. der Villa ten Hompel) recherchieren/systematisieren
  • empirische Befunde zum (historischen) Lernen an Gedenkstätten diskutieren
  • Kategorien zur Analyse einer Ausstellung am historischen Lernort erarbeiten und konkrete Fragestellungen an die Dauerausstellung der Villa ten Hompel entwickeln

Exkursionen

Exkursion 1

  • Fragestellungen im Plenum formulieren
  • Führung durch die Dauerausstellung zum Ziel einer inhaltlichen Erschließung des historischen Orts
  • Ausgewählte Räume der Dauerausstellung kategoriengeleitet analysieren (gruppenteilig) und mit Mitarbeiter:innen des Lernorts diskutieren
  • Funktionen von biografischen Fallbeispielen am historischen Lernort herausarbeiten

Exkursion 2

  • Ausgewähltes Bildungsangebot (Fokus: Arbeit mit biografischen Fallbeispielen) kennenlernen und mit Gedenkstättenmitarbeiter:innen diskutieren
  • Vertiefende Auseinandersetzung mit einem in der Dauerausstellung thematisierten biografischen Fallbeispiel
  • Erprobung der im Projekt (vor-)entwickelten Konzepte zur Vor- und Nachbereitung eines Besuchs am historischen Lernort mit Schulgruppen

Nachbereitung

  • Exkursionserfahrungen (insb. in Hinblick auf ortspezifische Potentiale für historisches Lernen) gemeinsam reflektieren
  • Grundlagen der Planung von Geschichtsunterricht erarbeiten und bedarfsorientiert vertiefen
  • Ideen und Konzepte zur Vor- und Nachbereitung (weiter-)entwickeln, präsentieren und diskutieren

Erfahrungen

Aus Studierendenperspektive stellten sowohl die kriteriengeleitete Analyse einer Ausstellung am historischen Lernort als auch die Auseinandersetzung mit (systematischer) Planung von Geschichtsunterricht neue Erfahrungen dar. Ein großer Teil der Teilnehmer:innen befand sich im Bachelor-Studium – geschichtsdidaktisches Grundlagenwissen wurde häufig in parallel stattfindenden Seminaren erst aufgebaut. Die damit verbundenen Konsequenzen für die Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung spiegeln sich in den nachfolgenden Erfahrungsberichten von Studierenden wider:

PositivNegativ
„Die Lehrveranstaltung hat mir Anregungen dafür gegeben, wie ich als angehende Lehrkräfte einen Besuch mit Schulgruppen am historischen Lernort auf ein eigenes, (konkretes) Lernziel ausrichte […]. [A]lles mit dem Kernziel, Vor- und Nachbereitung (sinnvoll) zu gestalten.“„Mehr Beispiele von Arbeit/Projekten an anderen Gedenkstätten […].“

„Es wurden viele didaktische Begriffe genutzt, die mir relativ neu waren, weil ich vorher nie damit Kontakt hatte. Vielleicht könnte man hierzu mehr Erläuterungen geben oder es ‚verständlicher‘ gestalten.“

Potentiale

Die räumliche Nähe zum Geschichtsort Villa ten Hompel ermöglichte eine wenig zeit- und organisationsaufwendige Durchführung zweier, aufeinander aufbauender Exkursionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Vor und zwischen den Exkursionen fanden Seminarsitzungen statt, die eine systematische Reflexion der gemachten Erfahrungen und die Förderung fachdidaktischer Kompetenzen im Bereich der Unterrichtsplanung erlaubten.
Aus universitärer Perspektive

  • ermöglichte die Nähe zum historischen Lernort für Studierende eine selbstständige vertiefende Erkundung der Dauerausstellung (auch außerhalb der dafür vorgesehenen Zeiträume im Seminar). Diese Option war insbesondere für die (Weiter-)Entwicklung von Konzepten der Vor- und Nachbereitung und die damit verknüpfte vertiefende Auseinandersetzung mit einem ausgewählten biografischen Fallbeispiel wertvoll.
  • gewährleistet die semesterbegleitende enge Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter:innen des Lernorts, teilnehmenden Studierenden und dem Dozenten einen intensiven Austausch untereinander und praxisnahe Einblicke in einen historischen Lernort zur deutschen Diktaturgeschichte – sowohl in Hinblick auf die kuratorische Arbeit als auch auf die gedenkstättenpädagogische Bildungsarbeit (konsequente Umsetzung von Theorie-Praxis-Verzahnung)
  • konnten die Studierenden praxisnah Chancen und Herausforderungen des historischen Lernens mit biografischen Fallbeispielen am historischen Ort reflektieren und über Umsetzungsmöglichkeiten der Rekonstruktion von biografischen Fallbeispielen im Geschichtsunterricht diskutieren.
  • konnten durch die mehrfache Erprobung der Lehrveranstaltung (seit SoSe 2022) bereits Erfahrungswerte und Evaluationsergebnisse berücksichtigt und Anpassungen/Optimierungen der Seminar- und Exkursionsplanung vorgenommen werden.

Herausforderungen

Gleichzeitig resultierten aus den Rahmenbedingungen und den Schwerpunktsetzungen der Lehrveranstaltung auch gewisse Herausforderungen:

  • Teilnehmende Bachelor-Studierende belegten (zumeist) parallel zur Lehrveranstaltung das geschichtsdidaktische Einführungsseminar. Dementsprechend musste phasenweise (basaleres) fachdidaktisches Grundlagenwissen in den Sitzungen zur Exkursionsvor- und -nachbereitung erarbeitet werden. Die eigenständige Entwicklung von Konzepten der Vor- und Nachbereitung (SoSe22, WiSe 22/23) stellte sich für Studierende, die in ihrem Professionalisierungsprozess bislang keine Vorerfahrung mit der Planung von Geschichtsunterricht gesammelt haben, als herausfordernd dar und bedurfte intensiver Unterstützung von Mitarbeiter_innen des Lernorts und Dozenten.
  • Durch die intensive und ausschließliche Auseinandersetzung mit dem lokalen Geschichtsort Villa ten Hompel waren Vergleiche zu anderen historischen Lernorten – auf Praxisebene – im Rahmen der Lehrveranstaltung nicht möglich. Die Unterschiedlichkeit von Ansätzen der Ausstellungskonzeption oder der Bildungsarbeit anderer historischer Lernorte (z. B. im Vergleich zu KZ-Gedenkstätten oder historischen Lernorten zur DDR-Geschichte) konnte in Seminarsitzungen zwar thematisiert werden, aber nicht im Rahmen von Exkursionen praxisnah veranschaulicht und reflektiert werden – dies betrifft vor allem die unterschiedlichen Ansätze der Auswahl und Thematisierung von biografischen Fallbeispielen.

Autor: Felix Ostermann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter amInstitut für Didaktik der Geschichte, Universität Münster

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